Ent- und Belastungen im Zeitalter der Digitalisierung
Wie können wir uns an die durch die Digitalisierung hervorgerufene Arbeitsveränderungen anpassen? Ziel der Tagung »Gesunde Arbeit in Pionierbranchen« vom 6.4. in Jena war es, Einblicke und Gestaltungsansätze zur gesundheitsgerechten Arbeit abzuleiten.
Gesundheitliche Belastungen vs. körperliche Entlastungen
Bei Werkern transformiert körperliche Arbeit zunehmend zur Bildschirmarbeit. Werker übernehmen Überwachungs- und Kontrollaufgaben in betrieblichen Produktionsprozessen. In Störfällen müssen sie schnell reagieren können.
Beim Erlernen der Anwendung mit digitalen Werkzeugen herrscht anfänglich insbesondere bei den älteren Kollegen schnell Überforderung der ebenso schnell Unterbeanspruchung im normalen Betrieb folgt, da Störfälle überraschend und nicht über den Tag hinweg gleichverteilt auftreten.
Digitalisierung führt weiterhin zu einer Arbeitsverdichtung, die bislang nur wenig in Arbeitsregelungen berücksichtigt wird. Wie kann also die durch die Digitalisierung begünstigte berufliche- und private Lebens- und Stressbeanspruchung, die kumulativ wirkt, in Arbeitszeitregelungen berücksichtigt werden? Wie kann eine 24h/Tage Handy-Rufbereitschaft als Arbeitszeit gewertet werden? Sollte durch die verdichtete Arbeit die Arbeitszeit reduziert werden? Lion Salomon (Vorstand der IG Metall) schlägt Alarm, wenn in Publikationen wie dem Positionspapier des BDA „Chancen der Digitalisierung nutzen“ die Deregulierung ausgerufen wird. Salomon versteht Regulierungen als notwendiges Mittel zur Handreichung: »Mitarbeiter müssen wissen, was sie dürfen«.
Mensch im Mittelpunkt in Change Prozessen
Wenn beispielsweise ein Tischler nicht mehr hobelt, sondern Arbeitsprozesse für Roboter programmiert, ist das ein augenscheinliches Anzeichen für Veränderungen in einem Berufsbild. Wie gehen wir aber mit dieser Transformation des Selbstkonzepts eines Berufs um, wenn Roboter aus ihrer unverschuldeten Käfighaltung entlassen werden und autonom fahrende Fahrzeuge das Straßenbild prägen? Es besteht in hohem Maße die Gefahr von Identitätsverlust ganzer Berufsgruppen und damit einhergehenden psychischen Belastungen. Gleichzeitig verliert auch berufliche Erfahrung zunehmend an Bedeutung und wird immer weiter durch IT-Kompetenz substituiert. Das kann einerseits zu hohem Leistungsdruck führen, insbesondere wenn individuell Unsicherheit oder Ängste gegenüber dem Einsatz neuer Technologien vorliegen. Anderseits steigt die psychische Belastung in Veränderungsprozessen, welche zum Beispiel durch das Kontroll- bzw. Überwachungspotenzial digital-vernetzter Werkzeuge resultiert. Jeder menschliche Fehler kann analysiert und gegebenenfalls den Mitarbeitern vorgehalten werden.
Ziel ist es daher, Ängsten proaktiv entgegenzuwirken. »Durch Regelungen und Betriebsvereinbarungen sollen Ängste vor Datenmissbrauch reduziert werden«, sagt Ingo Böttcher, Betriebsrat des OPEL-Werks in Eisenach. Ein alternativer Ansatz wäre es, die Kontrollmöglichkeiten als Chance zu begreifen und die Datenverarbeitung transparent zu machen. Die Etablierung einer Fehlerkultur und offene Kommunikation könnte auch zur Reduktion von Ängsten beitragen. Weiterhin gilt es durch Aus- und Weiterbildungen, die Akzeptanz für die digitale Transformation zu steigern sowie die individuelle Anpassungsfähigkeit im Umgang mit smart-digital-vernetzten Arbeitsprozessen zu steigern.
Handlungsschwerpunkte zur Förderung des gesunden Arbeitens
Digitalisierung benötigt neue Leitprinzipien, wie gute digitale Arbeit ausgestaltet werden kann. Häufig gibt es z.B. keine expliziten Regelungen für Arbeitspausen. Untersuchungen des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg haben ergeben, dass Mitarbeiter meist nicht richtig oder ausreichend pausieren. Dabei können Pausen zu signifikant weniger Stress führen. Dr. Anja Gertmaier (IAQ) empfiehlt daher implizite Annahmen hinsichtlich der Pausengestaltung zu expliziten Normen zu machen. Gemeinsame Rituale unter den Kollegen und regelmäßige Tätigkeitswechsel sind der Erholung förderlich. Weithin beobachtet Gertmaier, dass digitale Spezialisten häufig ohne Backup arbeiten, was zu hoher Stressbelastung führen kann. Ansatzpunkte für die Arbeitsprozessgestaltung liegen in der Arbeit in Tandems oder dem Schaffen überlappender Arbeitsbereiche.
Zudem ist es besonders wichtig, bei zunehmender Digitalisierung die Beschäftigten mitzunehmen und durch Bildung für die neue Anforderung zu sensibilisieren. Ziel ist es, dass die Mitarbeiter Vertrauen in die digital-vernetzten Systeme aufbauen: Weiche ich dem Roboter aus oder weicht er mir aus?
Generell liefert die Digitalisierung das Potenzial, »gesunde Arbeit« voranzustellen. Es obliegt letztlich den Inhabern und Verantwortungsträgern einer Organisation, gesundheitliche Eigenverantwortung zur fördern und Gesundheit zum Bestandteil der Unternehmenskultur werden zu lassen.